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ENTGEGEN DER FAHRTRICHTUNG


Ich habe mein Arbeitsverhältnis aufgegeben. Kündigen, ohne dass ich einen Vertrag hatte, konnte ich nicht, also teilte ich in aller Kürze mit: „Ich komme nicht zurück.“ Dort, wo man mir nach über 30 Jahren zwar schleichend, aber wahrnehmbar, kein Revier mehr ließ, ein Unding für einen Löwen, hatte sich viel verändert. Die Übernahme geschah durch ein Doppelgespann mit neuer Gesinnung. Ich wollte mich aber weiterhin im Spiegel erkennen können und so wusste ich eines Tages – Geld oder Leben. Ich entschied mich für das Leben.


Zuvor hatte ich mich ein Jahr lang durchaus redlich bemüht, auch wenn manches schwer hinzunehmen war. Zu Letzterem gehörte auch, dass der neue Chef fast nur noch gemeinsam mit seinem Sekundanten anzutreffen war. Einzelgespräche wurden vermieden. Selbst-verantwortliches Arbeiten war unerwünscht. Für alle, die man aus den Augen haben wollte, gab es eine Dependance. Dort bekam man vom Tagesgeschäft nichts mit und wurde dafür hin und wieder mit unangekündigten Besuchen belästigt, die immer eine Störung der Arbeit und der Atmosphäre verursachten. Ich redete mir ein, dass, wenn ich mir einen anderen Auftraggeber gesucht hätte, ebenfalls eine hohe Anpassungsleistung nötig gewesen wäre. Also bot ich weiterhin Ideen und Konzepte an, grüßte freundlich und setzte selbst absurde Anweisungen um. Als allerdings ein Coaching-Wochenende für das gesamte Team anberaumt wurde, bezog ich Stellung und wurde zum Problem. Auch am nachfolgenden Teambuilding-Workshop nahm ich nicht teil. Zwei gegen einen wurde ich zum Gespräch zitiert.

Es gibt Dinge, die kann man einem Löwen nicht zumuten. Und da ich auch noch einen Widder Ascendenten habe, hatte die Zumutbarkeit ziemlich schnell ihre Grenze erreicht.


Zunächst einmal: Einen Löwen zitiert man nicht zu sich. Wem das nicht klar ist, hat den Umgang mit einem Löwen und seiner Gabe für Selbstverantwortung, Loyalität, Entertainment und Kreativität nicht verdient.

Von dem Kommunikationswissenschaftler und Löwen Paul Watzlawik hörte ich vor vielen Jahren einen Vortrag an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Als der stürmische Applaus abebbte, begann Watzlawick mit den Worten:

„Ich beginne mir selbst Eindruck zu machen.“


Ein Löwe ist nicht auf Bestätigung von außen angewiesen. Er weiß in der Regel, was er kann. Wer hingegen Kadavergehorsam und Teamarbeit verlangt, braucht keinen Löwen, sondern ein Pferd. Dieses kann er dressieren oder er kann, falls er über mehrere Pferde verfügt, diese vor eine Kutsche spannen und sich von einem Kutscher sicher ins Ziel fahren lassen. Das nennt man dann Coaching. Auch wenn mir durchaus klar ist, dass Coaching-Maßnahmen heutzutage zu den sogenannten Führungsstrategien gehören, halte ich trotzdem nichts von ihnen. Weder will ich mich strategisch führen lassen, noch will ich mich zielgerichtet weiterentwickeln. Warum? Ich kann warten, bis die Zeit reif ist und mich inzwischen auf meinem Erkenntnisweg weiter bewegen. Coaching-Seminare und Meetings für Groß-gruppen halte ich zudem für reine Selbstdarstellungsplattformen und Zeitverschwendung. Ich möchte auch nicht Teil einer Arbeitsgruppe sein, die dem Chefstrategen kostenlos die Ideensuche abnimmt. Entweder bilde ich ein Team oder ich führe ein Heer. Letzteres ist eindeutig eine hierarchische Angelegenheit. Ich habe nichts gegen Hierarchien. Im Gegenteil. Jeder kennt seinen Platz und vor allem weiß die Chefetage, was sie will. Diese soziale Gruppengesülze hingegen ertrage ich nicht.


Unangepasstes Verhalten ist ein Affront. Ein Blick in die sozialen Medien zeigt, wie man es, wenn man das möchte, besser machen kann. Erfolge anderer werden dort enthusiastisch gefeiert. Dass diese Art der scheinbar völlig neidfreien Begeisterung mit einer eigenen Aufwertung einhergeht, scheint niemandem aufzufallen. Man liest auch von großer Dank-barkeit für Arbeitsaufträge oder Engagements. Demütig fällt man vor dem Chef sprachlich auf die Knie und bedankt sich überschwänglich für die einmalige Chance.

Ich gehe davon aus, dass die Verfügbarkeit meiner Arbeitskraft und das entsprechende Einkommen ein Tauschgeschäft sind. Man kann etwas und der Auftraggeber möchte sich dieses Können zunutze machen. Also eine Win-Win-Situation und kein Grund, sich vor Dankbarkeit zu überschlagen. Ich hatte also nicht damit gerechnet, dass der neue Direktor (echt, muss es diese Bezeichnung sein?) ein derart verqueres Verhalten erwarten könnte und war entsprechend konsterniert. Ich würde in keinem Fall einen Salto mortale vollführen, um mich gefällig zu erweisen, wenn man schlicht gegen Bezahlung auf meine Fähigkeiten zugreifen könnte. Die Lage spitzte sich zu.


In den Jahrzehnten vor der Übernahme war ich durchaus dazu fähig, klare Ansagen umzusetzen, auch wenn mir der Auftrag nicht passte. Dass aber die Qualifikation nicht mehr zählte, sondern Mitläufer gesucht wurden, erschütterte mich. Den neuen Visionen zu folgen, die nur wiederspielgelten was in der Szene aktuell als neu propagiert wurde, kam für mich nicht infrage. Demnach war klar, worauf es hinauslief – nur ist das nicht so einfach zu bedenken, wenn man eigentlich schon im Rentenalter ist, aber keine Rente beziehen wird.

Eine kurze Weile lief ich meiner Überzeugung, dass man doch einsehen müsse, wie gut ein Betrieb liefe, engagierte man die Menschen nach ihren Fähigkeiten und Talenten, hinterher. Unterdessen aber wurden meine körperlichen Abwehrreaktionen immer deutlicher.

„Wenn man in einen falschen Zug einsteigt, nützt es nichts, wenn man im Gang entgegen der Fahrtrichtung läuft.“ Dietrich Bonhoeffer


Nun setzte ich auf Schweigen, während sich mein Empfinden immer mehr entwickelte und über die Ahnung zur Gewissheit wurde. Und dann bat ich um einen Termin: „Ich komme nicht zurück,“ sagte ich, – es waren gerade Ferien. Ich stieß auf Fassungslosigkeit. Das wunderte mich, denn schließlich waren viele Monate mit unerfreulichen Auseinander-setzungen und Krisengesprächen vergangen. Ich jedenfalls hatte keinerlei Kommunikations-bedürfnis mehr. Die Frage, die nach dem Erstaunen noch aufkam, betraf meine Inhalte. Aha! Ich hatte also auch ohne Arbeitsgruppe etwas beigesteuert. Die Inhalte blieben, wo sie hingehören, bei mir. Und dann war ich erst einmal frei.


Es gibt eine Art des Sozialzwangs unter dem Deckmantel des Gutmenschentums, bei dem ich aggressiv reagiere. Ich erwarte, dass mein Gegenüber mit offenen Karten spielt, vielleicht eine Schwäche des Widders. Die Stärke des Widders wiederum ist das Aufdecken des Ungesagten. Paul Watzlawik beschrieb in seinen Axiomen:

“Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ (1)


Als Tänzer ist man sich dessen sicher, als Direktor möglicherweise nicht. Ein Übernahme-gespräch in der Öffentlichkeit, in der Kürze einer Theater-Pause, das Anstehen für die Heiß-getränke eingeschlossen, spricht eine deutliche Sprache mit dem Inhalt – Machtpräsentation.

„Wie sieht es mit der Altersarmut aus? Ich müsste dich nicht übernehmen.“

Ich weiß nicht, wie Paul Watzlawick das gedeutet hätte. Bei mir jedenfalls sprang schlagartig das Reptilienhirn ein. Ich wurde sprachlos und fing an zu zittern. Da der Beziehungsaspekt, nach Watzlawick den Inhaltsaspekt bestimmt, hieß das möglicherweise übersetzt: „Ich bin ein Kümmerer, ich sorge mich um dich“ (Beziehung). „Ich garantiere für nichts. Anpassung und Unterwürfigkeit sind Voraussetzung“ (Inhalt).


Leider konnte ich dem Angriffssignal des Reptilienhirns nicht folgen.

Gern hätte ich auf die Frage, wie es mit der Altersarmut aussähe, geantwortet: „Gut sieht es aus.“ Und auf die Aussage, dass man mich nicht übernehmen müsse, hätte ich gekontert: „Noch besser,“ und bereits im Gehen: „Don’t call me, I call you.“


Als die Zeit reif war, geschah es auch so. Ich rief an und ging nicht mehr zurück.





Alle astrologischen Benennungen und Zusammenhänge beruhen auf dem System der Münchner Rhythmenlehre von Wolfgang Döbereiner (1928-2014)

(1)

Die Axiome von Paul Watzlawick, https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html


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